Sollte ich es wirklich wagen? Sollte ich mich in die Dunkelheit begeben, nicht wissend, was mich dort erwartete? Je länger ich in den schwarzen Bereich im Flur starte, desto sicherer war ich mir, dass dort etwas stand. Jemand stand. Meine Härchen stellten sich auf, meine Hände schwitzten und mein Herz raste. Ich schloss den Mund um nicht so laut zu atmen, was natürlich quatsch war. Würde dort wirkich jemand stehen, hätte dieser jemand mich schon lange gesehen.
Mein rationaler Verstand sagte mir, ich sollte umdrehen und gehen. Ich würde mich selbst in diesen latenten Angstzustand verstetzen, einfach weil ich wollte, dass dieses alte Haus mich gruselte. Ich stand in einer Ruine, in der hier oben nun mal einfach kein Fenster war um Licht reinzubringen. Wahrscheinlich mussten die Bewohner früher immer eine Lampe an der Wand anschalten.
Nur langsam beruhigte sich mein Körper. Ich streckte die rechte Hand aus und glitt mit den Fingern an der rauen Tapette entlang, bis ich abermals auf eine geschlossene Tür traf.
Mit Schwung und ohne zu überlegen öffnete ich sie, denn noch immer gab es eine dunkle Ecke im Flur. Und noch immer glaubte ich, Blicke auf mir zu spüren.
In dem Zimmer schien Licht. Nein, die Sonne schien durch das kaputte Fenster. Ich sah die Kastanienbäume, zwischen den Blättern die Felder. Aber noch immer hörte ich keine Vögel. Wahrscheinlich war es mittlerweile zu spät für die einheimischen Vögel, redete ich mir ein und sah mich im Raum um. Bis auf eine Kommode fand ich nichts darin und auch diese hatte keine Schubladen mehr, in welche ich hätte blicken können. Daneben lag eine alte, graue Decke.
Enttäuscht drehte ich mich um und erstarrte. Die gegenüberliegende Wand war von oben bis unten beschrieben. In dieser krackeligen Schrift, die auch schon auf dem Papier zu lesen war.
Ich trat mit dem Rücken an die Kommode und begann zu lesen.
* * *
Die Mängelexemplare haben es sich auf die Fahnen
geschrieben, stets mit jeder weiteren Ausgabe etwas Neues zu bieten, das sich
von den vorherigen Veröffentlichungen abhebt. Sich also auf bewährten Konzepten
auszuruhen, ist nicht! Den Anspruch stelle ich als Herausgeber an mich selbst.
Und mit jeder Ausgabe ist es mir bisher, denke ich, stets
sehr gutgelungen, die Leser zu überraschen und etwas völlig Eigenständiges
innerhalb eines wiedererkennbaren Kosmos zu schaffen. Band Eins ist ja
richtiggehend als Genre-Bastard zu bezeichnen, da gibt es eine bunte Mischung
aus Horror, Science-Fiction, Satirischem und sogar zwei Krimis – alles vereint unter
dem verbindenden Deckmantel des Makabren. Band Zwei widmete sich dem Ende der
Welt, in allen möglichen und unmöglichen Facetten. Die dritte und vierte
Ausgabe thematisieren das klassische Thema Spuk- und Geistergeschichte, wobei
sich der letztere Band dadurch einmalig abhebt, dass ich mich dazu entschieden
habe, es mal mit Novellen zu probieren, miteinander verknüpft durch Lyrik und
eine tolle Liebesgeschichte, die das Spukthema nur leicht anschneidet, aber
einfach wunderschön geschrieben und spannend zugleich ist.
Dass das Gesamtkonzept funktionieren und trotz
unterschiedlicher Ansätze ein gewisses Klientel über Jahre ansprechen kann,
zeigen die durchweg sehr guten Rezensionen. Und ein besonderer Gradmesser ist zudem
der deutsche Horror Award Vincent Preis. Alle vier Mängelexemplare-Bücher
wurden prämiert, teilweise sogar mehrfach. In den vergangen drei Jahren konnten
wir, die Mängelexemplare-Familie sogar jeweils die Kategorie „Beste Anthologie“
für uns entscheiden, auch nach der Anpassung des Wahlverfahrens hin zu einem
allgemeinen Publikumspreis. Das ist eine tolle Bestätigung für unsere Arbeit.
Die Mängelexemplare sind gewissermaßen auch ein Spiegelbild
meiner eigenen Interessen und Vorlieben, denn ich veröffentliche nur zu Themen,
die mich selbst begeistern. Diese Facetten finden sich auch in meinen eigenen
Geschichten wieder. Makabres, Science-Fiction, trashiger Horror,
Philosophisches, Endzeitgrauen und Spukgeschichten sowie klassische
Detektivermittlungsarbeit. Dafür habe ich ein Faible und das sind auch die
Motive, über die ich nur zu gern fabuliere.
Wieder zu den Anthologien: Ich mache Bücher, die mir gefallen,
und wähle Themen und Autoren nicht danach aus, wie erfolgsversprechend sie
sind. Anders könnte ich auch nicht erklären, wieso ich eine Anthologie mit
Novellen gemacht habe. Das sind eigentlich zwei Begriffe, die hohe
Verkaufszahlen in Deutschland von vornherein ausschließen. Trotzdem gab es
wieder positives Feedback vom Verlag, den beteiligten Autoren und, am
wichtigsten, von den Lesern.
Ich freue mich übrigens riesig, dass der Amrûn Verlag so
viel Vertrauen in die Reihe setzt, obwohl es sicherlich lukrativere Projekte
gibt.
Die Mängelexemplare werden übrigens gerade auf ganz neue
Bahnen gelenkt: Die Reihe wird in Zukunft ausschließlich (zumindest vorerst) in
Romanform fortgesetzt. Torsten Scheibs famoses „Götterschlacht“ steht ja
bereits in den Startlöchern. Mit so einer Entwicklung hättet ihr alle nicht
gerechnet, oder ;-)?
*
Ich bin, was das Schreiben anbelangt, gewissermaßen ein
Spätstarter. Viele Autoren berichten ja, dass sie von Kindesbeinen an nicht
ohne Stift und Papier leben konnten. Bei mir war das anders. Ich habe als Kind
zwar sehr gerne und viel gelesen, jedoch außerhalb der Schule nicht
geschrieben. Das Schreiben habe ich erst vor etwa fünf, sechs Jahren für mich
entdeckt, so genau kann ich nicht einmal benennen, wie es dazu kam.
Als Fan von Edgar Allan Poe habe ich mich natürlich zuerst
an der hohen Kunst der Kurzgeschichte probiert und bin dort viel länger
hängengeblieben als ursprünglich gedacht.
Herausgeber bin ich wahrscheinlich eher zufällig geworden.
Vielleicht hat „es“ mich ja auch gefunden, weil ich so viel Freude daran finde,
Leute für Ideen zu begeistern, Menschen auf kreativer Ebene zusammenzubringen
und Projekte zu koordinieren und umzusetzen. Es macht einfach Spaß, phantasievolle
Geister bei ihrem Schaffensprozess zu begleiten und auf diesem Weg zu begleiten
und in gewisser Weise und an manchen Stellen auch zu führen, wo ich kann. Wichtig
ist es mir auch stets, junge Nachwuchsautoren zu fördern und sie mit den
Alteingesessenen zusammenzubringen. Dieser Austausch ist einfach genial und
macht mega viel Spaß. Übrigens ist es leichter, an die großen der Szene
heranzukommen, als man denkt. Ich habe hier viele positive Reaktionen und lange
Brief (E-Mail-)Wechsel, die mein eigenes Schaffen stark beeinflusst haben. Man
muss sich nur trauen, die richtigen Leute einfach anzusprechen.
Großer Dank gilt auf jeden Fall meiner lieben Freundin Reni
Zawrel, die mich an das Herausgeben herangeführt hat, und an Carmen und Claudi,
von denen ich gerade in den ersten Jahren viel Lob und Mut zugesprochen
bekommen sowie konstruktive Kritik erhalten habe. Das werde ich nie vergessen.
*
Puh, das ist eine gute Frage. Ich glaube, Herausgeber zu sein,
macht mir insgeheim mehr Spaß. Stolzer machen mich jedoch Projekte, die ich in
kompletter Eigenregie umgesetzt habe, wobei mein erster Roman ja eine
gleichwertige (kongeniale? :-) )
Zusammenarbeit mit meinem Lieblingsautor Vincent Voss ist. Missen möchte ich
weder das Schreiben noch das Herausgeben. Da ich keinen finanziellen Druck
habe, mit dem Veröffentlichen nichts verdienen muss - und zur Zeit auch gar
nicht möchte -, bin ich in der luxuriösen Situation, beiden Leidenschaften
gleichermaßen frönen zu können.
*
Das ist so nicht ganz richtig. Klar, der Großteil meiner
Geschichten spielt im Horrorbereich, aber darauf möchte ich mich keineswegs
festlegen. So durchziehen meine Geschichten oft ja auch ganz andere Themen, wo
der Horror in den Hintergrund rückt. Liebe, als eine der stärksten und vor
allem ausdrucksstärksten Emotionen ist zum Beispiel ein Motiv, das ich sehr
häufig aufgreife. Einfach weil es Auslöser und Beweggrund für so vieles ist,
sei es nun absolut guter oder abgrundtief böser Natur. So sind auch schon
Geschichten entstanden, die völlig horrorfrei sind. Unabhängig von bestimmten
wiederkehrenden Motiven bewege ich mich zudem sehr gern in den Genres
Science-Fiction und - zukünftig sicher auch verstärkt - in der
Detektivgeschichte.
Witzigerweise lese ich selbst ja gar nicht soooo viel Horror
bzw. Phantastik. Klassische Detektivgeschichten haben es mir noch viel mehr
angetan.
*
Irgendwann möchte ich mich selbst einmal an eine richtige old
school Krimigeschichte heranwagen. So richtig schön ursprünglich mit einem
locked-door-mystery und einem starken, alles überragenden Ermittler, der
mittels Deduktion dem Täter auf die Schliche kommt.
Aber zuerst einmal steht die Arbeit an meinem neuen Roman im
Vordergrund. Eine Endzeitgeschichte, bei der die Protagonisten über mehrere
Stationen in ihrem Leben begleitet werden, während auf dem Planeten die Kacke
gerade so richtig am Dampfen ist. Das macht viel Spaß, ist durch verschiedene
Zeitsprünge und Handlungsstränge jedoch gleichermaßen auch eine große
Herausforderung. Ich denke, das wird mich noch das gesamte Jahr über
beschäftigen. Ich habe ja für mich beschlossen, das Schreiben an zweite Stelle in
der Kategorie Hobbys zu stellen, hinter dem Sport.
Dieses Jahr erschienen aber immerhin noch zwei
Kurzgeschichten, meine Leser sitzen also nicht auf dem Trockenen.
Ich danke herzlich für das Interview.
* * *
Hatte ein verwirrter Mensch einen inneren Dialog an die Wand geschmiert? Sollte mich das Gekritzel vor etwas warnen? Hauste hier ein übergeschnappter Autor, dessen Geschichten ihm zu Kopf gestiegen waren?
Verwirrt, ob der Möglichkeiten trat ich an das Fenster und genoss die Wärme, die die Sonne doch noch immer abgab. Erstaunt beugte ich mich nach vorn. War da gerade jemand in das Haus gegangen? Ich hatte etwas rotes aufblitzen sehen. Oder spielten meine überreizten Sinne mir einen Streich?
Ich lauschte. Drehte den Kopf Richtung Flur.
Und dann sah ich es!
* * *
HIER geht es zur FB-Veranstaltung! Dort habt ihr heute die Möglichkeit, einigen Autoren der Mängelexemplare Löcher in den Bauch zu fragen. ^^
Wenn ihr wissen wollt, was der Gute hier gesehen hat, schaut morgen wieder vorbei!
Wenn ihr wissen wollt, was der Gute hier gesehen hat, schaut morgen wieder vorbei!
Danke an Constantin, der sich meinen Fragen gestellt hat, ohne sich zu gruseln! Oder zu beschweren. ... Jedenfalls nicht laut. :-D
Liebe Grüße und bis morgen!
Tilly und ... *nuschelt*
Tilly und ... *nuschelt*
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