Montag, 12. Juni 2017

"Mängelexemplare: Haunted", Hrsg. Constantin Dupien


(Es ist mal wieder Zeit für eine "alte" Rezension.^^)

Inhalt/Meinung


Auf dieses Mängelexemplar hab ich gewartet, seitdem die Geister mir zugeflüstert haben, dass es erscheinen wird. Ich hab Seancen durchgeführt, im Kaffeesatz gelesen und bin um Mitternacht in einem weißen, langen Nachthemd über den Friedhof gewandelt. Jaaa, was macht man nicht alles, um sich die Zeit bis zur heißersehnten Lektüre zu vertreiben! Hat es sich gelohnt, auf Geisterfang zu gehen oder war mein Spukschloss nur Träumerei?

Lyrik: „Heimgesucht“ von Merten Mederacke
Mit Lyrik, Gedichten und allem, was so dazu gehört, hab ich es nicht. Rein gar nicht! Aber diese Art von Lyrik, direkt als Einführung in das Buch, war sehr geisterbehaftet dunkeldüster. Es kam bei mir sofort Gänsehaut-Stimmung auf, wie bei solchen Poltergeistfilmen, bei denen Türen auf und zugehen und Dinge sich von allein bewegen. Dadurch, dass das Gedicht in drei Teile geteilt wurde und so die einzelnen Geschichten einrahmt, war es außerdem ein fantastischer roter Faden, der dem Gesamtkonzept von „Mängelexemplare: Haunted“ das Krönchen auf die einzigartige Konzipierung setzte.

Bei vielen Geistergeschichten ist das Ende von Anfang an klar. Spukgeschichten, Gespenstererzählungen und alles Paranormale folgen mitunter einem Muster, das der geneigte Leser einfach kennt. Aber das ist egal, denn dem Leser (in diesem Fall: Ich) ist es vollkommen wurscht, ob das Ende klar ist. Bei einigen Haunted-Geschichten war ich wirklich nicht überrascht, dass das Ende war, wie es war. Aber darauf kam es wirklich nicht an! Denn in den klassischen Gespentsergruselmitternachtsgeschichen ist einzig und allein der Weg, der Teil zwischen Anfang und Ende, das Entscheidende! Der Grusel wird aufgebaut und fährt mir unter die Haut. Das Paranormale, der Schreibstil der Autoren, die typischen Stilmittel in diesem Genre, all das sorgt dafür, dass ich mich während des Lesens an mein Kissen klammere und ängstlich mitverfolge, wie die Figuren von einem Horrorgrusel in den Nächsten fallen. Am Ende drehe ich eine Runde durch die Wohnung, schalte alle Lichter ein und sage mir, dass ich sicherlich nicht weiterlesen werde … nur um mich nach ein paar Minuten vertieft in die nächste Geschichte wieder zu finden.
Die Geschichten von „Mängelexemplare: Haunted“ sind besessen und sorgen dafür, dass man nicht von ihnen loskommt, bevor man nicht wirklich jedes einzelne Wort eingesogen hat.
Seit euch dessen bewusst, bevor ihr zu diesem Buch greift. Wahrscheinlich hat Constantin Dupien als Herausgeber, auch so einige Geister heraufbeschworen und diese manifestierten sich in folgenden Geschichten:

1. „Wutprobe“ von Markus K. Korb
Die Einstiegsgeschichte ist immer die, die entscheidet, ob ich als Leser am Ball bleibe. Sie ist diejenige, die den Eröffnungstanz beginnt und gleichzeitig die Noten für den Rest des Abends liefert. „Wutprobe“ als solches ist eine klassische Spukhausgeschichte, mit abenteuerlichen Jungs und einer Gruselgeschichte, die keiner geglaubt hat. Kurz gesagt: Die Einstiegsgeschichte ist perfekt gewählt. Ich fieberte mit den Jungs mit, fragte mich, ob etwas in diesem Haus auf mich wartete und durch den sehr bildhaften Schreibstil spürte ich auf den kalten Hauch auf meiner Haut, der vom Keller ausging.
5/5

2. „Die Witwe des Malers“ von Stefanie Maucher
Und wieder eine klassische Grundhandlung. Es gibt wirklich viele Arten, Geistergeschichten zu erzählen und diese hier fand ich mit am einprägsamsten. Die arme Witwe, die von der Vergangenheit gequält wird und dennoch niemandem ihr Leid erzählen möchte. Die aufmerksame Pflegerin, die sich unwissend all die Last aufbürdet. In Geistergeschichten finde ich es immer wieder interessant, wie weit der Einfluss des Geistes gehen kann, egal ob gut oder böse. Stefanie Maucher hat dieses Gefühl von Verzweiflung und dem Unausweichlich perfekt eingefangen und mir einen Geist serviert, dem ich nicht begegnen möchte und das, obwohl er selbst nie wirklich in Aktion tratt. Ich hatte Angst vor ihm und dass nur, durch kleine Andeutungen und Zeichen. Sehr klasse!
5/5

3. „Die Geschichte von Jimmie Rocks letztem Album“ von Vincent Voss
Das verfluchte Haus! Auch eine Art für eine Gespenstergeschichte. Ich mag es, wenn es um Häuser geht, die mehr oder weniger involviert sind und sich vielleicht sogar gegen die Bewohner richten. Klingt seltsam, ist aber so. ^^ Der Schreib- und Erzählstil ist sehr eigen und mag zu Anfang gar nicht so zu dem Genre passen, aber gerade die dezente Andersartigkeit, verleiht dieser Geschichte das gewisse Etwas an Realität. Moderne Musikszene trifft auf Geister der Vergangenheit und mischt sich zu einer Geistergeschichte mit genretypischen Elementen, aufgepeppt durch den Stil der Figuren, die sich nicht in die klassischen Gespenstererzählungen pressen lassen. Sehr toll!
5/5

4. „Barfuß über Glas“ von Tobias Bachmann
Oookay. Diese Geschichte musste ich zweimal lesen und ich bin mir noch immer nicht ganz so sicher, ob ich sie nun verstanden habe. Ich glaube (!!), dass es aus Sicht des Geistes geschrieben wurde. Dahingehend muss ich zugeben, dass das wirklich eine sehr geniale Idee ist (wenn ich denn recht habe^^). Wie will man wissen, was in den armen Seelen eigentlich vorgeht? Geht da überhaupt was vor? Was machen Geister, die an einen Ort, eine Person oder einen Gegenstand gebunden sind? Wer offen für das Thema der paranormalen Aktivitäten ist, wird hier sehr viel Potenzial für Vermutungen und Diskussionsgrundlagen finden. Die Geschichte als solche war für mich nicht leicht zu verstehen, wie gesagt, ich hab sie zweimal gelesen. Schreib- und Erzählstil sind sehr eigen, allerdings glaube ich, dass sie auf die Geschichte angepasst wurden, von daher war es wiederum passend.
3,5/5

5. „Feuerkinder“ von Melanie Ulrike Junge
Gruselgeschichte mit Kindern und dann noch in einer alten Schule. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster uns sage: das ist der Stoff, aus dem die besten Geisterstorys gemacht sind. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen, als ich herausfand, um was es hier geht. Ich ging mit den neugierigen Schülern auf die Suche, meine Spannung steigerte sich Wort für Wort, ich begann zu schwitzen und … war am Ende etwas verwirrt, denn so ganz verstand ich es nicht. Warum die „Feuerkinder“ da sind ist klar, aber dennoch hat mich das Ende mit dieser oder jener offenen Frage zurück gelassen. Nun lässt sich darüber streiten, ob das bei den typischen Gespenstergeschichten nicht genau so ist? Es ist doch eigentlich fast immer so, dass der Geist es irgendwie schafft, zu entkommen und man sich als Leser fragt, wie es weitergeht. Genau das macht dieses einzigartige Gruselgefühl einer solchen Geschichte ja aus. Aaaaaber dennoch ließ mich dieses Ende unbefriedigt zurück. Schade, denn der Rest ist wirklich, wirklich klasse!
4/5

6. „Frau Adonay“ von Fred Ink
*tief Luft hol* AAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHH!
DAS ist die ALLER ALLER AAAAALLERBESTE GEISTERGRUSELGESPENSTER Geschichte die ich JEMALS gelesen habe!!!!! HAMMERMÄßIG GEIL!
Der stofflose, verfluchte und wahrscheinlich besessene Pokal für die beste „Haunted“-Geschichte geht an FRED INK!!
Außerdem gibt es hexerische Auszeichnungen in den Kategorien: Idee! Umsetzung! Schreibstil! Erzähltechnik! Verwirrung des Lesers! Auflösung! Wendungen! UND ALS EXTRA: einen Aufenthalt in einem besonders alten, verwinkeltem Haus mit verrückter, alter Frau für DIE GEISTERHAFTESTE ATMOSPHÄRE IN EINER KURZGESCHICHTE!
Es ist immer wieder erstaunlich, was Worte bewirken können. Was einfache Worte in den Köpfen der Leser anstellen und was die eigene Fantasie so alles fabriziert! Fred Ink ist sich dessen vollkommen bewusst und manipuliert gekonnt mit seinen Worten die Fantasie seiner Leser, lockt sie in ein Haus und lässt dann seine Geister mit ihnen spielen! Chapeau, Mister Fred Ink, für eine Geistergeschichte weitentfernt von Mainstream und Klischees!
5/5

7. „Nachtgespenster“ von Bernar LeSton
Die andere Seite der Medai… eh… Geisterwelt. Geister sind von Vorurteilen behaftet. Sie sind böse und wollen den Lebenden böses antun. Sehen wir einmal von Casper^^ ab, trifft das wohl auch auf fast alle Geister zu, die ich kennenlernen durfte und es gibt wohl kaum einen Lebenden, der bei gesundem Verstand ist, der sich gerne und mit offenen Armen den bösen Geistern entgegenstellt. Was ist nun aber, wenn die Geister gar nicht böse sind und es wirklich einen Menschen gibt, der in ihre Welt möchte? Diese Frage klärt Bernar LeStone auf eine wirklich interessante Art und Weise und sorgt so dafür, dass Leser auch einmal über andere Möglichkeiten nachdenkt! Keine Klischees, kein Mainstream, dafür eindrucksvolle Möglichkeiten, sich in dem Genre auszuleben! Sehr fantastisch!
4,5/5

8. „Der Spuk auf Lakewood Manor“ von Constantin Dupien
Ich steh ja auf Spukgeschichten, gepaart mit der guten, alten Detektivarbeit! Von daher hatte diese Geschichte schon mal gute Karte bei mir. Constantin Dupien schafft es mühelos mich in die Atmosphäre des verregnet Londons zu ziehen. Die Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf, oder sollte ich lieber sagen: ich materialisierte mich selbst in die Geschichte, so als zusätzliches Gespenst.^^
Je mehr ich von Constantin Dupien lese, desto mehr gefällt mir seine Art, sich Schreibtechnisch an die verschiedensten Genres anzupassen. Die Vielschichtigkeit, die er auch hier wieder an den Tag legt, ist wirklich beeindruckend. Jede der Figuren war für mich greifbar und das Gespenstergruselelement allgegenwärtig. Und wie die klassische Geistergeschichte auch, ist das Ende offen und lässt meine Fantasie mit mir durchgehen! Ganz große klasse!
5/5

9. „Das Puppenhaus“ von Xander Morus
Noch gruseliger als Spukhäuser sind geisterbehaftete Puppenhäuser! Da geht wohl kaum etwas drüber! Auch wenn der Titel hier bei mir falsche Hoffnungen schürte. Nichtsdestotrotz war es eine solide Geistergeschichte, die von den Geistern selbst handelt. Was treiben die eigentlich mit ihrer ganzen Zeit? Machen die überhaupt was? Es hat mich nicht wirklich gegruselt, aber dennoch hätte ich gerne mehr über die Geister, Dämonen und Puppenhäuser von Xander Morus gelesen. Und nebenhergesagt finde ich es wirklich interessant, wie unterschiedlich die Autoren das Thema umsetzen. Es kommt immer wieder etwas anderes auf den Leser zu, wie mit dieser Geschichte bewiesen wird!
4/5

10. „Lost Place“ Melissa Schwermer
Ich steh auf „Lost Places!“ Die haben auch ohne Geister schon eine unheimliche Atmosphäre und sind als Setting für solch eine Geschichte mal richtig genial gewählt. Ich lief zusammen mit der Hauptfigur durch das verlorene Haus, entdeckte interessante Dinge und hatte Angst, als ich merkte, wie ich fiel. Melissa Schwermer setzt die Thematik auf ihre eigene Art um und bindet die genretypischen Stilmittel gekonnt in unsere moderne Welt ein. Ein paar Hintergrundinfos hätte ich mir gerne noch gewünscht, aber durch die Erzählart war das leider nicht möglich. Dennoch eine Geschichte, die ich gern gelesen habe, auch wenn ich mich nicht so arg gegruselt hab. Aber Grusel ist ja auch nicht gleich Grusel. ;-)
4/5

11. „Hungergeist“ von Regina Müller
Bei dieser Geschichte bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie als Metapher für das Leben und seine Genusssucht dient, oder ob ich in eine sehr mystische Geistergeschichte nur zu viel hinein interpretiere. Ein Mönch versucht die Fesseln des schnöden Lebens abzuwerfen und noch mehr zu sich selbst zu finden. Denn, wer nicht wirklich den Willen zeigt, kann sich nicht von sich selbst befreien. Ich fand in dieser Art von Geistergeschichte sehr viele Aussagen, über die ich nachdenken musste, die tiefer gehen, als einfach nur „Gespenst = Grusel“. Regina Müller zeigt sehr eindrucksvoll, dass eine Geistergeschichte auch Tiefe und Moral besitzen kann, wenn der Leser offen dafür ist. Und außerdem: Was (außer dem Puppenhaus) kann bitte einen gruseligen Friedhof toppen? ^^
5/5

12. „Auf dem Silbertablett“ von Lisanne Surborg
Diese Geschichte verdeutlich sehr fantastisch, wie es ist, wenn man sich mit den Geistern der Vergangenheit herumschlagen muss und dass es ausreicht, wenn diese auch nur für einen Menschen real sind. Gebe ich so einem Gespenst, einem hängengebliebenen Gedanken, Macht über mich, mache ich ihn schon dadurch greifbar. Geister können vieles sein und manchmal sind es Erinnerungen, Gedankenfetzen und Szenen von früher, die einen verfolgen, die man bekämpfen muss. Auch wenn sie sonst niemand sieht: für einen selbst sind solche Gespenster mehr als real! Die Umsetzung, die Idee, der Stil und das Einfangen der Atmosphäre sind Lisanne Surborg verdammt gut gelungen. Ich spürte den Kampf von Torben um seinen Verstanden, den Unwillen sich seinen Geistern zu stellen und die Erleichterung, als alles aus ihm heraussprudelt.
5/5

13. „Das flüsternde Haus“ von Christian Sidjani
Es kann nicht immer alles gut gehen. Leider. Uns so hat auch „Haunted“ die eine Geschichte, die mir rein gar nicht gefallen hat. Es ist noch nicht mal die Idee oder die Geschichte als solche. Ich kam mit dem Schreib- und Erzählstil überhaupt nicht klar. Ich muss außerdem gestehen, dass ich fast drei Tage brauchte, um diese Geschichte zu lesen (sie hat „nur“ 24 Seiten). Die Sätze waren stellenweise für mich schwer zu verstehen, manche Absätze musste ich zweimal lesen und dennoch ist mir nicht klar, was Christian Sidjani uns als Lesern vermitteln möchte. Ich bin mir sicher, dass diese Geschichte eine Aussage hat, leider ist sie bei mir nicht angekommen. Die Atmosphäre, die allein schon von einem leeren Einkaufscenter ausgeht, konnte mich nicht fangen. Wirklich schade.
0/5


Fazit

„Mängelexemplare: Haunted“ ist ein MUSS in jedem Bücherregal, wenn man auf Geistergeschichten steht. Constantin Dupien hat hier bewiesen, dass er als Herausgeber ein Händchen für einzigartige, themenbezogene Gestaltung hat. Er sammelt fantastische Autoren um sich, die ihre Geschichten in den Hexenkessel der Geister und Gespensterwelten werfen und somit etwas erschaffen, das den Leser in seinen Sog zieht. Und niemanden wieder herauslässt. Klare Leseempfehlung an dieser Stelle!!!
(Allerdings weiß ich nicht, wie Constantin dieses Projekt noch toppen will! Die Erwartungen sind hoch, also nur keinen Druck, mein Lieber! :-D )


Bewertung

(Eigentlich mache ich ja keine Bewertungen mehr. Aber da das hier eine alte Rezension ist, bleibt die Bewertung natürlich drin.)
Laut meiner Berechnung müsste ich „Mängelexemplare: Haunted“ 4 Marken geben. Nun ist es aber so, dass erstens „Frau Adonay“ leider nur 5/5 Punkte bekommen konnte und die Gestaltung in dem gesamten Buch einfach nur der Hammer ist. Deswegen gibt es an dieser Stelle von mir verdiente 5 von 5 Marken. Vollkommen ungeisterhaft, nicht verflucht und auch kaum besessen! ;-)


Klappentext:

Am Ende des Glaubens fangen sie an zu existieren.
Wenn der Gong um Punkt Mitternacht zwölfmal schlägt und die Geisterstunde einläutet, wird uns Menschen das Fürchten gelehrt. Denn seit jeher verfolgen Spuk- und Gespenstergeschichten vornehmlich ein Ziel: dem Leser einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen.
Die geheimnisvollen unstofflichen Wesen sind dazu prädestiniert, Angstzustände auszulösen und eine Gänsehaut hervorzurufen.
Dreizehn packende Spuk- und Geistergeschichten über unheimliche Erscheinungen, musikliebende Besessene, düstere Schatten, flüsternde Häuser und vieles mehr.










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