Je weiter ich die Treppe hinaufstieg, desto mehr schloss sich die Dunkelheit um mich herum. Am obersten Treppenabsatz angekommen, blickte ich zur Eingangstür. Die Sonne schien noch immer, aber ich glaubte, dass das Licht an Kraft verloren hatte. Wollte ich wirklich gegen abend noch hier sein? Wie lange war ich überhaupt schon in diesem Haus? Das verfallene Gemäuer, meine Gedanken und das leichte Gruselgefühl, sorgten dafür, dass ich langsam mein Zeitgefühl verlor.
Und auch wenn ich wusste, dass ich nun langsam den Heimweg antreten sollte, drehte ich mich zur ersten verschlossenen Tür auf dem Gang, der sich aus der Düsternis schälte und öffnete diese.
Zu erst erblickte ich nichts. Dann erkannte ich ein Fenster, dass fast vollkommen von Efeu zugewachsen war. Da es anscheinend zur Hinterseite des Hauses hinausging, schaffte es kein Sonnenstrahl herein.
Der Boden war staubig, an den Wänden vermutete ich Grafitit oder ähnliche Zeichnungen, ohne Licht war das schwer zu erkennen. Ich tastete mich mit ausgestreckten Händen vorwärts, lauschte immer wieder, aber um mich herum blieb es still.
An der rechten Wand ertastete ich ein metallenes Bettgestellt. Bettzeug oder Matraze fehlte. Daneben stand ein kleiner Nachttisch. Gerade als ich beschloss, dass nächste Zimmer aufzusuchen, fühlte ich Papier unter meinen Händen.
Auf dem Flur knackte es.
Schnell griff ich zu und hastete aus dem Raum raus. Nichts. Der Flur war leer. Ich blickte hinterunter in die Vorhalle, deren Boden sich von hier oben zu bewegen schien, aber auch dort war nichts.
"Komisch", murmelte ich, denn ich fragte mich abermals, ob ich die Türen der Räume unten geschlossen hatte oder nicht. Nun waren sie zu, so als hätte ich sie nicht betreten.
Hier auf dem Flur war etwas mehr Licht. Das Papier, das ich mit aus dem Raum genommen hatte, hielt ich mir so nah wwie möglich vor die Augen und entzifferte die krackligen Worte. Hatte das ein Kind geschrieben?
* * *
Oma Klara wippte
gemütlich in ihrem Schaukelstuhl auf und ab, mit ihren Stricknadeln bearbeitete
sie behände die Wolle.
Die Veranda,
die ihr Mann Karl vor über fünfzig Jahren mit seinen eigenen Händen errichtet und
auf dem sie schon Schuhe, Hemden und Söckchen für ihre eigenen Kinder gestrickt
hatte, bot ihr ein kühles, schattiges Plätzchen.
Mittlerweile
war Oma Klara alleine, und niemand mehr kümmerte sich um die Risse in den Stützbalken
und um die Bodendielen des Vorbaus, der mit den Jahren morsch und faulig wurde.
An vielen Stellen splitterte das Holz. Auch der vor Altersschwäche ächzende und
knarzende Schaukelstuhl war eine echte Handarbeit ihres Karls, der Klara vor
nunmehr neun Jahren verlassen hatte.
Wenn sie nur
nicht so alt und zittrig, dafür jedoch ein wenig geschickter wäre. Aber Karl
hatte sich doch immer um Haus und Garten gekümmert.
Einzig beim
Stricken machten ihre Finger weiterhin das, was sie sollten.
Die dunkelgraue
Decke, in die sich Klara gehüllt hatte, war Karls Lieblingsdecke gewesen. Sie
glaubte, seinen Geruch an ihr wahrnehmen zu können, als hätte er sich auf ewig mit
dem Gewebe verbunden und haftete an jeder einzelnen Faser. Der feine Staub, der
bei jeder kleinsten Bewegung emporstob, tanzte im Wind. Doch das bemerkte Klara
mit ihren schwachen Augen gar nicht mehr.
Ganz selten nur
kamen ihre Kinder und Enkelkinder vorbei. Umso mehr freute sich die Alte darüber,
als Klarissa, die jüngste der drei Sprösslinge ihres Sohnes, sie an diesem
Vormittag unvermittelt besuchte.
Zum
Mittagessen hatte Oma Klara Eierkuchen kredenzt, nachdem Sie zuvor bei Mensch Ärgere dich nicht absichtlich
verloren hatte. Man sollte seltenen Gästen nicht unnötig vor den Kopf stoßen
und sie wieder vertreiben …
Die ganze
Zeit über konnte sich Klarissa jedoch nicht das kleinste Lächeln abringen. Sie
wollte eindeutig nicht bei der
runzeligen, senilen Alten sein, das spürte Klara. Oma Klara war nichts mehr
wert, ihre Spiele langweilig und die Eierkuchen wahrscheinlich zu fad.
Warum war
sie gekommen? Hatte ihr Sohn Angst um sein Erbe und sie sollte beschwichtigt
werden?
Nun schlief
Klarissa im Kinderzimmer, in welchem eine Kletterwand, eine Spielküche aus Holz
und ein Puppenhaus mit auf Miniaturgröße geschrumpften Betten und Möbeln und
Stühlen Platz fanden. Ein echtes Spielzimmer, das letzte Projekt, das Karl vor
seinem Ableben realisiert hatte.
Für die
geliebten Enkel. Die süßen kleinen Fratzen.
Von wegen! Undankbare Sippe!
Der
Schaukelstuhl wippte immer stärker auf und ab und die zwei abgemagerten,
knochigen Ärmchen arbeiteten schneller und schneller. Mit jahrzehntelanger
Routine arbeitete Oma Klara an einem Schal für die kleine Klarissa … mit dem ich sie erdrosseln werde.
Es würde
eine Überraschung werden, eine echte Überraschung.
Kinderlachen
aus dem Garten. Wie ist das möglich?
Oma Klara kniff
die Augen zusammen. Ein blondes Mädchen im roten Kleid tollte auf der Wiese herum
und sammelte Gänseblümchen. Wie konnte sich Klarissa an ihr vorbeigeschlichen
haben?
Sei’s drum, du Göre. Deine Zeit ist gekommen
…
Der Griff um
den Schal wurde fester, der Stoff spannte sich. Es war soweit.
Kurz bevor
sie aufstehen wollte, vernahm die Alte eine allzu vertraute Stimme, unversehens
hielt sie inne.
„Karl?“,
fragte sie mit brüchiger Stimme.
Im Garten
spielte Klarissa mit einem Mann. Ihrem
Mann. Er machte seine berühmten Seifenblasen, hergestellt aus einer speziellen
Lauge, die extra große Blasen ermöglichte.
Ein Geräusch
von hinten. Oma Klara drehte den Kopf. Blickte ungläubig.
„Aua. Mensch
Oma, deinetwegen habe ich mir einen Splitter eingezogen. Weil hier alles so alt
und morsch ist. Genau wie du.“ Oma Klaras Augen weiteten sich. Sie riss den
Kopf wieder nach vorn. Das Mädchen war weg, Karl fand sie indessen wieder. Im
Garten, jedoch eine Etage höher, baumelte er am Baum. Gurgelte. Starb. In dem
Moment setzte der Herzschlag von Oma Klara aus.
„Oma Klara,
was ist los mit dir?“ Nichts passierte. Klarissa begann zu weinen. Vögel zwitscherten.
Ein kühler Wind zog auf und ließ die Blätter tanzten. Äste wippten, es
rauschte.
* * *
Nein! Das konnte kein Kind geschrieben haben! Wer kam auf solche Ideen? Langsam blickte ich von dem Zettel auf und bemerkte erst jetzt, wie still es wirklich um mich herum war. Keine Vögel, kein Wind. Obwohl sich ganz offensichtlich draußen die Bäume bewegten, schließlich sah ich ihren Schatten.
Mein Herz begann zu Rasen, ich glaubte Blicke auf mir zu spüren. Schnell drehte ich mich zum Rest des Flures herum, aber er war dunkel. Schwarz.
Gänsehaut breitete sich auf meinem Rücken aus, ich schluckte ein paar Mal, bevor ich ein krächzendes "Hallo?" hervorbrachte.
Natürlich antwortete niemand. Und doch hörte ich sie. Leise, fast sanft. Schritte. Atmen. Ein Röcheln?
Dort, in der Dunkelheit, stand jemand und wartete auf mich.
* * *
HIER geht es zur FB-Veranstaltung. Außerdem gibt es wieder Rezensionen, Zitate und hoffentlich ein bisschen Grusel. ^^
Vielen lieben Dank an Constantin! Was als kleine Idee anfing, artete in eine ganze Woche aus. :-)
Liebe Grüße
Tilly und das Wesen in der Dunkelheit ;-)
Tilly und das Wesen in der Dunkelheit ;-)
(Das Copyright von zitiertem Text, Bildern und
Illustrationen liegt bei den Verlagen, Autoren und/oder den Illustrationen, die
im Impressum erwähnt werden. Das Copyright der Rezensionen liegt bei mir.
Zitate an anderen Stellen nur mit Erlaubnis von mir. Das Copyright der Geschichte liegt bei Constantin Dupien.)