Montag, 15. Mai 2017

"Ein plötzlicher Todesfall", J.K. Rowling



Inhalt/Meinung

Die Geschichte beginnt in einer Kleinstadt, wie sie überall auf der Welt zu finden ist. Jeder kennt jeden. Die Stadt ist geprägt durch den Zusammenhalt der Bewohner, Blumen schmücken den Dorfplatz und man hilft sich gegenseitig wo man kann. Aber der Schein trügt, denn gleich zu Beginn gibt es einen Todesfall, der das Leben in dem sonst so idyllischen Örtchen Pagford auf die Probe stellt und die dunkle Seite der sonst anscheinend friedfertigen Menschen zu Tage bringt.
Barry Fairbrothers Tod reißt eine Lücke in den Gemeinderat und der zwischenmenschliche Krieg beginnt. Man wird in die Machenschaften der einzelnen Bürger hineingezogen, der Kampf um den freien Sitz im Gemeinderat ist nicht von Freundlichkeit beleuchtet und die Kämpfenden ziehen alle Regeln der Kriegskunst zu Rate.
In den ersten Kapiteln lernen wir eine sehr große Anzahl an Figuren kennen, deren Leben J. K. Rowling gekonnt miteinander verknüpft, die aber unterschiedlicher nicht sein könnten.
Familien, die nur nach außen das Bild einer funktionstüchtigen Familie geben, aber innerhalb herrscht rohe Gewalt vor. Streit unter Nachbarn der auch vor Rufmord keinen Halt macht, einseitige Liebschaften, Verwahrlosung gepaart mit Hoffnungslosigkeit, Drogenmissbrauch und die daraus entstehenden Probleme. Eltern und und deren Kinder, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Freundschaften, die gar keine sind.
Man wirft einen Blick hinter die Kulissen eines harmonischen Provinznestes, bei dem man die Harmonie zwischen trostloser Handlung und menschlichen Abgründen sucht.
Die Autorin schreckt nicht davor zurück, uns die unbequemen Wahrheiten und kaputten Familienverhältnisse genauestens aufzuzeigen. Abartigkeiten, die niemand hören, geschweige denn Lesen will.
Als roter Faden kommt immer wieder der Tote Barry Fairbrother ins Spiel, der sich für die untere Schicht in einer Sozialsiedlung eingesetzt hat. Als Leser begleiten wir, neben vielen anderen interessanten Charakteren, Krystal Weedon. Der besondere Schützling des Verstorbenen zeigt eine angedeutete, positive Wandlung, bis hin zu einer verzweifelten Denkweise die das Ende einläutet.

Für schwache Nerven, zartbesaitete Menschen und solche, die über menschliche Niederungen nichts wissen wollen, ist „Ein plötzlicher Todesfall“ nicht geeignet. Hier wird nicht mit Blümchen und Bienchen um sich geworfen, was viele sicher verschrecken könnte. J. K. Rowling bedient sich einer stellenweise sehr ordinären Sprache, die Figuren sind manchmal vulgär, beschimpfen sich mit Wörtern weit unter der Gürtellinie. Wer über die Sprache hinweg sehen kann, die sicherlich nichts Liebevolles an sich hat, sieht, dass durchaus auch mit heftigen Worten große Bilder erzeugt werden können.

Gewalt, körperliche wie geistige, sind dort an der Tagesordnung. Man wird in die Abgründe des Menschseins hinein gezogen und bekommt Dinge gezeigt, die sonst nur hinter gut verschlossenen Türen stattfinden. Auch in dem Ort findet das alles nicht auf offener Straße statt, obwohl das manchen der Protagonisten wohl am liebsten wäre, aber als Leser darf man hinter die Gardinen blicken. Und man bekommt nicht das Sonntagsservice vor die Nase gesetzt. Rücksicht auf die Gefühle von irgendwelchen Personen nimmt dort keiner. Nicht mal Rücksicht auf die eigene Familie.
Nach außen hin wird von vielen Figuren versucht, das Bild einer heilen Stadt mit freundlichen Bewohnern, zu wahren. Je mehr nach dem Tod des Gemeinderatmitglieds aber passiert, desto mehr Risse bekommt dieser trügerische Schein. Jede Handlung, egal welcher Figur, ist irgendwie mit einer Handlung einer anderen verbunden. Meistens wissen die agierenden Personen nicht einmal, was sie anrichten und bei wem ihre Reaktion eine Aktion hervorruft.

Dass die Autorin kein Blatt vor den Mund nimmt, gefällt mir. Ob es um den Drogenmissbrauch bei Jugendlichen geht, gefühlloser Sex auf dem Friedhof oder die Gedanken an Mord innerhalb einer Ehe, es wird alles knallhart auf den Tisch gebracht. Die einzelnen Protagonisten sind mit allen Ecken und Kanten glaubwürdig ausgearbeitet, die Sprache passt zu einer Sozialsiedlung oder zu dem anständigen Feinkostladenbesitzer. Jugendliche rebellieren, Frauen intrigieren und Männer ziehen den Schw*** ein.

Als Erstes hätten wir da den eigentlichen Hauptprotagonisten Barry Fairbrother. Er stammt selbst aus der Sozialsiedlung, um die es sich im eigentlich dreht. Hin und her gerissen zwischen dem Drang anderen dort zu helfen und der Pflicht eines Gemeinderatsmitglieds der Stadt gegenüber versucht er auch noch seinen familiären Pflichten nachzugehen. Alles wohl mehr schlecht als Recht, wenn man sein Ende bedenkt. Für seinen Kampf im Namen der Sozialsiedlung wird er von einigen geliebt, von anderen gehasst.

Als Nächstes lernen wir Miles und Samantha Mollison kennen. Er ist ganz sein Vater und sie will mehr als das Leben bis jetzt für sie gebracht hat. Miles macht nur das, was sein Vater sagt. Natürlich soll er jetzt in den Gemeinderat aufrücken, da sein Vater dort auch ist. Samantha ist eine Tratschtante, wie sie im Buche steht und ihr Lebensmittelpunkt besteht darin, ihre Schwiegermutter mit Neuigkeiten zu übertrumpfen. Beide waren dabei als Barry Fairbrother gestorben ist. Sie sitzen sozusagen an der Quelle und nutzen diese Situation eiskalt aus.

Familie Price ist auf den ersten Blick wie jede andere Familie auch. Mutter Ruth, Vater Simon und zwei Kinder. Dass der Vater ernsthafte Probleme mit seiner Ansicht auf bestimmte Dinge hat, sieht nur der ältere Sohn Andrew. Dafür bezieht er aber auch regelmäßig Prügel. Bei dem Versuch seinen kleinen Bruder und seine Mutter zu schützen, gleichzeitig seinem verhassten Vater eine auszuwischen, geht so ziemlich alles was er macht, nach hinten los. Im Prinzip ist er und eine seine Handlungen der altbekannte Tropfen der das Fass zum überlaufen bringt und dadurch wird eine Welle ausgelöst, die bis zum Ende hin anhält.

Howard und Shirley Mollison, Eltern von Miles, Besitzer des Feinkostgeschäfts und Mitglied im Gemeinderat. Sie betrachten sich selbst als die heimlichen Herrscher von Pagford. Jeder, der ihnen und ihren Interessen im Weg steht, wird auf die eine oder andere intrigante Weise vernichtet. Sie ist die treibende Kraft hinter vielen seiner Entscheidungen und merkt vor lauter Falschheit nicht, dass ihre Ehe auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Denn sie teilt sich ihren Mann mit der Geschäftspartnerin Maureen. Alt und klapprig macht sie auf 30 Jahre jünger, denkt sie weiß alles über jeden und hat eine eigene Definition von Geschäftsbeziehung zu Howard.
In einem sind sich die zwei Frauen aber einig, nicht immer aber meistens, sie können Samantha nicht leiden.

Neben Krystal Weedon, dem Mädchen in der Sozialsiedlung um die sich Barry Fairbrother gekümmert hat, die eine drogenabhängige Mutter und einen etwas in der Entwicklung zurück gebliebenen kleinen Bruder vorweisen kann, gibt es noch Andrews besten Freund Stuart Wall. Er rebelliert gegen alles. Eltern, Schule, Freunde. Im Prinzip weiß er nicht, was er will und am Ende bricht für ihn alles zusammen. Er trägt einen erheblichen Anteil an der ganzen Situation, allerdings hat er eine, sogar für mich als Leser, nervenaufreibende „Ist mir egal“ Einstellung. Das Einzige, was für ihn zählt, ist den ultimativen Kick zu finden. Aber er weiß nicht wie.

Meiner Meinung nach sind das so ziemlich die wichtigsten Personen, die die Handlung vorantreiben. Die Sozialarbeiterin, die mit dem besten Freund des Toten eine unglückliche Beziehung führt oder der Arzt, welcher Howard einen Bypass eingesetzt hat und dessen Tochter sich selbst Schmerzen zufügt, gehören auch dazu. Das sind Probleme, die sich als Nebenhandlung abspielen aber dennoch interessant sind, weil sie zum Gesamtbild dazugehören. Die Autorin hat die einzelnen Leben, verzwickten Situationen und die Probleme der vielen Bewohner auf eine eigene Art miteinander verbunden. Sehr schade finde ich, dass vieles nicht der Fantasie des Lesers überlassen wird,  manche Szenen sind in meinen Augen doch etwas zu heftig auf die Spitze getrieben worden.
Im Großen und Ganzen aber passt diese kalte, nüchterne und stellenweise gefühlskalte Erzählweise zum Gesamtbild.

Nach einer jahrelangen Reise mit Harry Potter wurde dieses neue Buch mit Spannung erwartet. Während des Lesens war es seltsam, man wartete förmlich auf einen Zauberspruch, Halbriesen oder geheimnisvolle Andeutungen. Ich finde, J. K. Rowling hat den Absprung geschafft. Mit Harry Potter hat sie uns bewiesen, dass sie Welten erschaffen kann, die an Magie und Zauberer ihresgleichen suchen. Mit „Ein plötzlicher Todesfall“ zeigt sie, dass es nach dem letzten Band von Harry Potter aber nicht vorbei ist. Und das die Autorin durchaus in der Lage ist, Themen aufzugreifen die unliebsam sind und Situationen beschreiben kann, die jeder in irgendeiner Art und Weise schon mal gesehen hat. Sie setzt ihren Lesern ein Gegenteil zu ihrem Zauberlehrling vor die Nase, das  in der Realität spielt, so dass einem die Skandale und Intrigen schon mal schwer schlucken lassen.

Ich bin der Meinung, wer Harry Potter gelesen und geliebt hat, kann das neue Werk durchaus mal in die Hand. Aber man soll nicht auf ein fantastisches Happy End warten, denn diesmal führt die Autorin uns nicht in zauberhafte Welten sondern in die Abgründe der Menschen, die etwas wollen, was alle anderen auch wollen. Es wird mit Zähnen und Krallen gekämpft und die Menschen nehmen keine Rücksicht auf Verluste. Fiese Doppelmoral und Verlogenheit, gepaart mit einer tollen Beobachtungsgabe, die keine Details außer Acht lässt.
Einmal angefangen konnte ich nicht wieder aufhören.
Obwohl ich finde, dass das Ende nach einer ganzen Weile vorhersehbar war, was die Spannung etwas genommen hat. Während des Lesens drängte sich mir ein Bild eines möglichen Endes auf, dieses Bild konnte durch keine Szene zerstört werden und genauso ist es auch eingetreten. Eigentlich wirklich Schade. Allerdings wäre jedes andere Ende auch unglaubwürdig gewesen. Allerdings wäre hier ein bisschen mehr „Andeutung“ besser gewesen, als dieses kalte „Offensichtlich“.

Fazit



Keine Schönrederei, knallharte Tatsachen und kaputte, zwischenmenschliche Beziehungen, die man in jeder anderen, angeblich idyllischen Kleinstadt ebenfalls finden kann.

J. K. Rowling hat gezeigt, dass sie nicht nur Jugendbücher schreiben kann und „Ein plötzlicher Todesfall“ ist der beste Beweis dafür! Ich kann es nur empfehlen.


* * *

Klappentext
Als Barry Fairbrother mit Anfang vierzig plötzlich stirbt, sind die Einwohner von Pagford geschockt. Denn auf den ersten Blick ist die englische Kleinstadt mit ihrem hübschen Marktplatz und der alten Kirche ein verträumtes und friedliches Idyll, dem Aufregung fremd ist. Doch der Schein trügt. Hinter der malerischen Fassade liegt die Stadt im Krieg. Krieg zwischen arm und reich, zwischen Kindern und ihren Eltern, zwischen Frauen und ihren Ehemännern, zwischen Lehrern und Schülern. Und dass Barrys Sitz im Gemeinderat nun frei wird, schafft den Nährboden für den größten Krieg, den die Stadt je erlebt hat. Wer wird als Sieger aus der Wahl hervorgehen – einer Wahl, die voller Leidenschaft, Doppelzüngigkeit und unerwarteter Offenbarungen steckt? J.K. Rowlings erster Roman für Erwachsene ist aufwühlend, berührend und spannend. Ein großer Roman über eine kleine Stadt von einer der besten Erzählerinnen der Welt.


"Ein plötzlicher Todesfall", J.K. Rowling


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